Was die Menschheit seit Jahrtausenden vergeblich ersehnt hat, die Eroberung des Luftraumes, das geschah in unserem Jahrhundert. Das der Traum vom Fliegen schon seit ca. 40.000 Jahren besteht, zeigen Felsmalerein in einer Steinzeithöhle in der libyschen Wüste. Als der Drachen seinen Weg nach Europa fand war er nur das Spielzeug der Kinder, davon erzählen Aufzeichnungen, Märchen, Geschichten und Gedichte.
Die Kinder konnten nur im Herbst ihre Drachen steigen lassen denn nach der Ernte des Getreides durften die Felder und Wiesen erstmals wieder betreten werden und hier wurde dann das Spiel mit dem Drachen lebendig.
Das Drachensteigen aus früher Zeit erzählt besonders schön das Gedicht von Viktor Blühgen - Ach wer das doch könnte - das zu den schönsten Drachengedichten gehört.
Durch die wissenschaftlichen Forschungen und Erkenntnisse unserer Urgroßväter, Großväter und Väter wurden die Verbindungen zwischen Drachen und Flugzeug hergestellt.
Die Geschichte des Drachen ist viel bedeutsamer, als die meisten Leser vermuten dürfen, die sich den Drachenbau und das Steigenlassen von Drachen wohl nur als einen Zeitvertreib und Spiel der Jugend vorstellen.
Während des ganzen Mittelalters gab es nur eine überragende Persönlichkeit, die das Luftfahrtproblem wissenschaftlich durchdachte: Leonardo da Vinci ( 1452-1519 ). Das erste Fluggerät, mit dem die Menschen schon sehr frühzeitig in das Luftreich eingedrungen sind, ist der Drachen.
Schriftliche Aufzeichnungen über Drachen stammen aus China rund 1.000 Jahre vor Christus. Vermutlich sind aber, da die Herstellung von Seide schon seit rund 2.000 Jahre vor Christus in China bekannt war und es dort auch ausreichend Bambus gab, erste Versuche mit Drachen auch dementsprechend älter. In der westlichen Welt gibt es die ersten Aufzeichnungen seit rund 200 Jahren nach Christus aus Griechenland von dem Mathematiker Archytas von Tarent.
In Asien und Polynesien wurden die Drachen von China aus durch buddhistische Mönche weiterverbreitet. Dort haben sie auch heute oft noch religiöse und zeremonielle Bedeutung.
Erste praktische Nutzen durch Drachen sind aus Japan bekannt. Dort wurden große Drachen für das Emporheben von Bogenschützen verwendet und bei dem Bau von Türmen Baumaterialien wie Kacheln und Ziegel in die Höhe transportiert.
In Indien werden etwa seit dem 4. Jahrhundert kleine Kampfdrachen aus Papier und Bambus geflogen. Holländische Kaufleute brachten diese Drachen 1543 nach Japan. Noch heute werden im März mit besonderer Leidenschaft die „Nagasaki Hata" in den traditionellen Farben rot, weiss und blau – den Farben der holländischen Flagge – gebaut und geflogen.
Eine Abwandlung dieser Drachen dient in Malaysia heute noch zum Fischfang, weil die Schatten der Drachen auf dem Wasser einem Blatt ähneln.
Kaufleute um Marco Polo waren es, die 1282 Drachen aus Asien mit nach Europa brachten. Seit dieser Zeit dienten die Drachen im Wesentlichen zum Zeitvertreib und als Kinderspielzeug auf den abgeernteten Feldern im Herbst.
1826 benutzte der Engländer Pocock einen Drachen, um eine Kutsche damit anzutreiben. Da man keinen Wegezoll für drachenbetriebene Fuhrwerke kannte, sparte er dadurch die Gebühren.
Die erste Überbrückung der 240m langen Schlucht der Niagarafälle erfolgte 1847 mit einem Drachen. Durch nachfolgend herübergezogene, immer schwerere Seile konnte die erste Eisenbahnhängebrücke zwischen Kanada und den USA hergestellt werden.
Seit 1887 experimentierte in Frankreich C. Jobert mit Drachen, um damit eine Rettungsleine von gestrandeten Schiffen zur Küste zu spannen.
Drachen haben in der Geschichte der Wissenschaft Ihren festen Platz. Bereits 1749 benutzte Alexander Wilson in Schottland ein Gespann von 6 Drachen 915 m hoch um mit in der Flugleine befestigten Thermometern die Temperaturunterschiede in den verschiedenen Lufthöhen nachzuweisen.
Im Juni 1752 benutzte Benjamin Franklin in den USA einen Drachen zum Nachweis der elektrischen Energie von Blitzen in Gewittern. 1887 wurden mit Drachen die ersten fotografischen Luftaufnahmen durch den britischen Meteorologen Archibald gefertigt. Am 12.12.1901 gelang Marconi mit einer durch einen Drachen auf 122m Höhe gebrachte Antenne die erste drahtlose Übertragung von Funksignalen von Cornwell nach Neufundland.
Die von dem in Australien lebenden Lawrence Hagrave entwickelten Kastendrachen wurden von 1893 bis in die 20ger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts vom US-Wetteramt im Blue Hill Observatorium zur Wettervorhersage benutzt.
Zur gleichen Zeit fanden in Deutschland regelmäßige Drachenaufstiege zur Wettererforschung bis in Höhen von 2.000m statt. Der Weltrekord eines Höhenfluges wurde 1919 in Lindenberg aufgestellt. Damals erreichte ein Drachengespann die Höhe von 9.740 m.
Kastendrachen haben auch einen großen Anteil an der Entwicklung der Luftfahrt. Erste Versuche erfolgten zwischen 1799 und 1809 mit Modellgleitern durch Sir George Cayley, der erstmalig 1804 einen Gleiter mit einem Gewicht von „80 – 90 Pfund" über eine längere Strecke flog.
Um 1900 benutzten die Gebrüder Wright Doppeldeckerdrachen für die praktische Erprobung von Steuerung und Flügelverwindung für ihre ersten Flugzeugprototypen.
1902 baute der Amerikaner Samuel F. Cody für das englische Militär ein System von Kastendrachen. Damit wurden Beobachter bis zu 800m hoch getragen. Zeitgleich betrieb der französische Lieutenant Saconney ähnliche Entwicklungen für die französische Infanterie. In Deutschland wurden mit ähnliche Systemen Beobachter von U-Booten gestartet, um deren Sichtbereich auszudehnen.
Die NASA experimentierte immer wieder mit Drachen für den sanften und zielgenauen Rücktransport wiederverwendbarer Raketeneinheiten. Francis M. Rogallo – Vater der Hangleiter - entwickelte dazu zunächst 1948 Drachen mit flexiblen Flügeln, deren Gestänge schließlich durch aufblasbare Holme ersetzt wurden und die ihre Stabilität durch die Tragleinen in einer Verbundwaage erhalten.
Einen Himmelsanker besonderer Art entwickelte 1963 der Amerikaner Jalbert. Durch die Nutzung von Ballon-, Fallschirm-, Tragflächen- und Drachenmerkmalen gelang ihm die Erfindung eines gestängelosen, durch Druckwind aufgeblähten und dadurch steifen Flügels mit enormer Auftriebskraft, der als Parafolie sowohl in die Drachengeschichte einging als auch in abgewandelter Form heute als moderner und steuerbarer Fallschirm den herkömmlichen Rundkappen-Fallschirm weitestgehend abgelöst hat.
Bereits 1944 entwickelte Paul E. Garber einen steuerbaren Zieldrachen zum Training der amerikanischen Luftabwehr. Doch erst der 1974 von Peter Powel entwickelte lenkbare Drachen, der der Form des Eddy sehr ähnlich ist, revolutionierte den modernen Drachensport. Die Aera der Lenkdrachenfreunde begann mit dem Reter-Powel-Stunter rund um die Welt.
Der Drachensport – in unseren Regionen oft noch als Kinderspiel belächelt und verkannt - hat sich insbesondere in den letzten Jahren zu einer sportlichen Freizeitalternative entwickelt. Dies ist im Wesentlichen im Bereich der Lenkdrachen mit seinen unterschiedlichen Sparten geschehen. Ob im Buggy (ein dreirädriges Gefährt mit lenkbarer Vorderachse), auf dem Surfbrett im Kanu oder auf dem Ski oder den Schlittschuhen vom Drachen gezogen, mit Kunstflugfiguren einzeln oder im Team auf der Wiese bis hin zu Trickflug beim „Indoorkiting" (Drachenfliegen in der Halle) ist alles möglich.
Spektakulär war die Verwendung der von Wolf Behringer entwickelten steuerbarem Segel, die Reinhold Messner und Arved Fuchs zur Unterstützung der Fortbewegung 1989 in der Antarktis benutzten.
Die Geschichte der Drachen ist noch nicht zu Ende. Mit überdimensionalen stablosen Figuren hat der Neuseeländer Peter Lynn in den vergangenen Jahren neue Maßstäbe am Drachenhimmel gesetzt. Er war es auch, die Fortbewegung mit Drachen wieder aus der Vergangenheit geholt und mit den Buggykonstruktionen die sich in der Zwischenzeit zusammen mit dem Drachensurfen zu eigenständigen Sportarten entwickelt haben
Viele Patente, Examensarbeiten, Berichte, Geschichten und Gedichte sind um den Drachen geschrieben worden. Diese gilt es zu bewahren in einer Zeit in der wir uns schon an die Überschallflugzeuge und Raumflüge gewöhnt haben.
Wir erheben hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit - Quelle: Drachenbuch (Ausgabe 2002)